Tagebuch
Erlebnisse
vor und hinter den Kulissen - Juni bis August 2007
Do, 9.8.2007: Disziplin,
Aberglaube und Lästereien
Kleinigkeiten erleichtern das
Miteinander: Fußgänger gehen auf der Straße rechts aneinander
vorbei. Ein Jüngerer macht einem Älteren den Sitzplatz frei und
grüßt höflich! Auch ein freundliches Danke und Bitte sowie ein
Lächeln schaden nicht. Solche Regeln gibt es auch im Circus. Als
Artist oder Arbeiter steht man eben nicht rechts oder links
neben der Abtrennung zum Sattelgang und schaut den Kollegen in
der Manege zu. Man steht als Kollege auch nicht vorn im
Eingangsbereich. Das gehört nicht zum guten Ton. Außerdem sagt
man, dass aufgespannte Regenschirme, Vögel und vergnügtes
Pfeifen im Chapiteau Unglück bringen. Auch muss der Kassenwagen
immer so aufgestellt sein, dass das Geld nach innen rollt.
Diesbezüglich gibt es im Circus viele Regeln. Nur wer gibt sie
an die nächste Generation weiter? An Circusschulen lernt man sie
augenscheinlich nicht.
Da viele Circusfamilien verwandt
sind oder zumindest nicht wissen, ob sie es nicht vielleicht
doch sind, ist man im Circus immer auf der richtigen Seite, wenn
man Personen über 30 Jahre als Onkel oder Tante anspricht.
Verwandte gibt es jedenfalls in allen Familien reichlich. So
manches Familienereignis wird mit bis zu 200 Gästen gefeiert.
Ferner hat so jeder Circus seine eigenen Spielregeln. An dem
einen Unternehmen ist es erwünscht, dass der Kontakt zwischen
allen Personen am Circus intensiv ist, während es dem
Büropersonal des nächsten Circus untersagt ist, Kontakt zu
Artisten zu halten. Und manchmal darf sich das Umziehen in die
circuseigenen Uniformen oder Kostüme nur im Garderobenwagen
abspielen. Anderswo kann auch mal ein nicht gut sichtbar
aufgetragener Lippenstift zu einer Avisstrafe führen. Was in so
lustigen Szenen endet, dass eine Kollegin, die ihren Lippenstift
vergessen hat, von den anderen auf den Mund geküsst wird, damit
sie doch noch etwas Farbe abbekommt.
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Da fällt mir nebenbei noch
eine lustige Anekdote ein: Es ist schon peinlich, wenn der halbe
Circus eine Gipfeltour macht und die Bergbahn auf der Rücktour
ihren Geist aufgibt und das Programm erst mit Verspätung
beginnen kann. Und ob es am Wasser liegt oder andere Ursachen
hat, manchmal erwischt auch ein Darminfekt kollektiv alle
Artisten. Und wenn wir schon bei den menschlichen Bedürfnissen
sind, stellt sich die Frage, ob nur Vögel oder auch das V…….n im
Chapiteau unerwünscht sind. Es gab Circusse, wo nachts um eins
der Strom ausging, seltsamerweise aber kein Strommotor ansprang.
Kein Wunder, da war man nachts aktiver als am Tage, nach dem
Motto: Im Dunkeln ist gut munkeln. Am Tage gab es dann ein paar
feste Auseinandersetzungen, wenn die Ausrutscher der Nacht ans
Tageslicht kamen. Es handelte sich dabei aber nicht um den
Circus, der sich so unzüchtig beschriftete (siehe Foto). Der
hieß bei geschlossenen Türen nämlich ganz jugendfrei
Nationalcircus. Ähnlich erging es dem Geier-Circus, der sich bei
offener Tür in einen Eier-Circus verwandelte.
Natürlich lästern Circusleute
auch gerne. Da kann es schon mal passieren, dass man in der
Manege noch seine Gummistiefel an hat, der Hosenschlitz offen
steht oder nur zwei Schlangen eingepackt hat. Klar, dass man in
so einem Fall den Spott der Kollegen einige Tage zu ertragen
hat. Und zum Abschluss sei den gnadenlosen Kritikern unter den
Circusfreunden noch eine Beobachtung eines Außenstehenden mit
auf den Weg gegeben: Ein Freund von uns, ein Kunstmaler, sagte
mal, dass man die Vorstellung im Nachhinein besser zu schätzen
weiß, wenn man sie noch einmal aus der Tierschauperspektive
sieht. Man sieht da nicht nur Glanz und Gloria, sondern auch die
Mühen, die notwendig sind, um ein paar Minuten Manegenglanz so
mühelos aussehen zu lassen.
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Mo,
23.7.2007: Sommerpause, Probleme und Circuskinder
Nein, so relaxt wie die Bären
im „Sommerquartier“ von Paul Busch haben wir die spielfreien
Tage noch nicht genießen können. Wer Tiere hat, der hat auch
ohne Vorstellung täglich seine Pflichten zu erledigen. Pflichten
das klingt so dumm, es gibt eigentlich nichts Besseres als sich
mit Tieren auseinandersetzen zu können. Aber der Staat fordert
von uns auch so lästige Dinge, wie Steuererklärungen. Ich kann
mich noch gut daran erinnern, als die Laptops noch nicht so
vielseitig auf dem Markt waren und wir uns mit den ersten
Computern herum plagten, konnte eine kurze Stromunterbrechung,
die im Circus fast zum Alltag gehört, eine mehrstündige Arbeit
in Sekunden vernichten.
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Klar, man kann eine kurze Zeit
auch mal ohne Wasser und Strom leben. Man kann aber auch
Ersatzlösungen finden. Vor allem lernt man im Circus mit diesen
Dingen bewusster umzugehen. Ich musste sehr lachen, als ich bei
Bekannten zu Besuch war, bei denen für Stunden im Haus das
Wasser abgestellt wurde. Sie haben alle Eimer, Behältnisse,
sogar die Badewanne für den Notfall gefüllt. Im Circus lernt man
schon als Kind, wo Wasser und Strom herkommen. Mein Sohn brüllte
schon als Zweijähriger aus der Tür in polnischer Sprache, wenn
der Strom ausfiel und er deshalb seinen Lieblingsfilm nicht mehr
sehen konnte. Und mit drei wusste er dann, wie man erst mal am
Sicherungskasten nachschaut.
Man hört manchmal die
Bemerkungen der Besucher, die sagen: Ist doch klar, dass der
Eintritt so teuer ist, wo die doch alle so große Wagen haben.
Nur vergessen sie dabei, dass wir keine Camper sind, sondern
unser gesamtes Leben darin verbringen. So ein mobiles Heim hat
den Vorteil, dass man den unangenehmen Nachbarn auf dem nächsten
Platz ausweichen oder seine Aussicht so einrichten kann, dass
sie vorteilhaft ist. So hatte ich in Travemünde vom Sofa einen
Blick auf den Hafen, wofür die Touristen mit Seeblick tief in
die Tasche greifen mussten.
Jedenfalls hat dieses Leben für
Kinder mehr Vor- als Nachteile. Sie können beim Spielen Krach
machen, Fußball spielen und im Wohnwagen rennen, ohne dabei, wie
im Mietshaus, die Nachbarn zu stören. Vor allem können sie
draußen spielen und wachsen mit Tieren auf. Es macht doch mehr
Spaß mit einem richtigen Kran Mist aufzuladen als mit Spielzeug
oder am Computer. Nur zu schnell neigen einige Kritiker dazu die
Behauptung aufzustellen, wir würden die Kinder als billige
Arbeiter benutzen. Man kann Bobo sein Spielzeug, Playstation,
Fahrrad usw. wegnehmen, das ist für ihn keine Strafe, aber ihm
die Hilfe am Auf- oder Abbau zu verbieten, ist das Schlimmste
für ihn. Ich muss auch zugeben, er kann besser die LKW’s
rangieren als ich, hat obendrein ein Feeling für Tiere und
scheut sich auch nicht vorm Ausmisten.
Es wäre schön, wenn es wie in
NRW überall die ‚Schule für Circuskinder’ geben würde. Da dies
aber nicht der Fall ist, muss Bobo außerhalb von NRW die Schulen
am Gastspielort aufsuchen. Im Prinzip eine gute Sache wird doch
dadurch der soziale Kontakt zu Kindern außerhalb des Circus
gefördert. Aber Circuskinder müssen laut Vorstellung der Schulen
wohl alle einen Salto können und ein Pony besitzen und außerdem
spielt man als normaler Schüler Blockflöte. Bobo kann keinen
Salto und weigert sich Blockflöte zu spielen. Damit ist bei den
meisten Lehrern das Interesse an einem Kurzzeitgast aus dem
Circus erloschen. Wir haben viele private Kontakte zu Lehrern,
aber was sich so an deutschen Schulen tut, kann man nur als
Beerdigungsstätte für die individuellen Begabungen eines
Schülers beschreiben.
Und im Circus gibt es Artisten,
Arbeiter und andere Mitarbeiter und alles sind Kollegen (den
einen mag man, den anderen nicht), aber ohne den Zusatz, das ist
kein Deutscher, der ist Ausländer! Das Wort ‚Ausländer’ hat Bobo
erst in einer Schule gelernt. Also wir haben jetzt den Euro,
aber in meinen Augen noch kein Europa. Im Circus gibt es
Menschen, die nur eine Nationalität haben: CIRCUS! (egal ob
Freund oder Feind).
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Di,
3.7.2007: In eigener Sache
Wie mir selbst auffällt,
schreibe ich hier eher meine Memoiren als ein Tagebuch. Aber es
geht ja auch um mein Circusleben und nicht um die Ereignisse im
Circus XY, bei dem wir gerade beschäftigt sind. Ich freue mich
über jede Resonanz, aber verständlicherweise kann ich Fragen,
die den Circus betreffen, wie etwa Besucherzahlen, nicht
beantworten. Wenn es berichtenswerte Dinge aus dem aktuellen
Geschehen gibt, werden diese auch mal erwähnt werden. Nur lässt
sich das reale Circusleben oft nicht in so kurzen Sequenzen
darstellen und die Wahrheit würde ja doch niemand glauben.
Juhu, ab heute haben wir
Sommerpause! Nur, was man unter Pause versteht ist relativ. Der
Clown zum Beispiel ist schon unterwegs in seine Ferienwohnung am
Meer. Fein säuberlich verpackt, werden seine Requisiten die Zeit
gut überstehen. Wer allerdings Tiere hat, bei dem sehen die
Ferien anders aus. Dem Clown sei seine Erholung gegönnt,
neidisch werde ich trotzdem nur ein bisschen, denn auf meine
Tiere würde ich nie verzichten wollen. Nur, "Pause" bedeutet
auch, keine Gage zu verdienen, die "rote Nase" ist da
kostengünstig, meine Tiere und die Futtertiere aber haben immer
Hunger und das summiert sich mit den Wochen. Zumal das
Arbeitsamt für uns als Geldgeber nicht zuständig ist.
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Nur Artist zu sein, um im
Rampenlicht zu stehen, wäre mir aber zu langweilig. "Circus",
das ist Bewegung, ein ständiges Auf und Ab. Nicht nur in der
Manege: Ich liebe den Circus vor und hinter den Kulissen. –
"Wer rastet, der rostet" und "Was einen nicht umbringt, macht
einen härter" - Unsere bisherige Saison war Gott sei Dank keine
Pleite-Show, aber Pech und Pannen hatten wir trotzdem genug.
Ehrensache, dass wir in solchen Situationen dem Motto "Der
Circus muss spielen" folgen und unsere Dienste zur Verfügung
stellen. Ich zum Beispiel habe ja einen Führerschein, der
es mir erlaubt, auch Fahrzeuge zu fahren, die nicht mein Eigen
sind. Ich mache mir dabei zwar die Hände schmutzig, aber die
Arbeit mit Tieren mache ich ja auch nicht mit Handschuhen und so
breche mir auch keinen Zacken aus der Krone, wenn ich bei einem
Engpass meinen Po auf den Sitz eines Circus-LKW bewege und mal
eben den Mastenwagen in den nächsten Gastspielort fahre. Und
während andere Väter mit ihrem Junior vielleicht Schach spielen,
starteten meine zwei Männer kurzerhand einen Wettstreit im Anker
einschlagen. Unterdessen sorgte ich dafür, dass
die Bevölkerung an die Werbung unseres Circus kam und tütete Postwurfsendungen ein.
Und nebenbei bewachte ich noch meine Tiere beim Sonnenbaden.
Was macht man aber nun als
Artist in einer Sommerpause? Ja, auch Pause! Bobo etwa hat
Schulferien und will alte Freunde wiedersehen, die mit anderen
Unternehmen reisen. Also ist man auch dann wieder auf der Reise.
Aber keine gemeinsame Familien-Ferienreise, denn einer hat immer
bei den Tieren zu sein. Nebenbei muss einiges an den Fahrzeugen
saniert werden und ich möchte endlich mal eine neue Küche
eingebaut haben. Vielleicht gibt es Leser, die uns
dabei helfen möchten? Außerdem suche ich einen pensionierten
Lehrer oder einen Lehramts-Studenten mit Interesse am Circus,
der dem Junior bezüglich Schule etwas zur Seite steht. Bei
Interesse bitte melden!
Trotz Pause, dann
bis in zwei Wochen –
BATAMA
(= weiblich und eine Reptiliendarbietung zeigend). Der Zusatz in
Klammern ist für alle, die denken, dass hier Klaus Kaulis, der
Ansager, schreibt. Solche Vermutungen gab es!
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Sa, 16.6.2007: Lustig oder peinlich?
Man hat ja im Circus nicht
nur mit Publikum zu tun. So rücken etwa auf jedem Platz die
Bauabnahme und das Veterinäramt an. Ich kümmere mich um das
Zweitgenannte. So kam eine Veterinärin und da es sich so ergab,
stellte ich ihr auch unseren Direktor Herrn Spindler vor.
Veterinäre haben viele Fragen und eine Frage musste die Dame
dann noch zu guter letzt stellen, sie wirkte dabei sehr
verlegen, wollte aber partout wissen,
wie es Paul Busch denn schafft,
mit 70 Jahren noch so jung auszusehen? Ja! Paul Busch
sieht wirklich nicht aus wie 70, aber ich hatte ihr Henry
Spindler vorgestellt und der braucht noch ein paar Jahrzehnte
bevor er in dies Alter kommt. – Aber es gibt auch viel kundiges
Publikum, die einen haben den Circus Paula Busch vor kurzem
gesehen (hää?), die anderen den Circus vom Bruder von Paul,
nämlich den Circus Roland Busch. So wundert man sich auch nicht,
wenn man mit einem Circus auf ein winzigen kleinem Platz ankommt
und die Anwohner einem erzählen, dass dort Krone zuletzt
gespielt hat. Also in den Köpfen der Besucher spielt sich da so
einiges an Verwirrung ab, aber Hauptsache sie werden nicht
enttäuscht, denn dann werden sie auch wieder in den nächsten
Circus gehen.
Wichtig für die Zufriedenheit
der Besucher ist auch, dass die Kostüme der Artisten sauber und
ansehnlich sind. Es gibt ja Unternehmen, ob man sie auch Circus
nennen sollte, weil sie ohne Tiere ihr Programm bestreiten,
möchte ich jetzt bestreiten, aber zumindest sind die Künstler,
die dort auftreten doch teils auch Artisten, aber im Outfit dem
Publikum gleich. Why not, es gab Modeperioden, da hatten die
Damen in den Logen mehr Pailletten an den Oberteilen als die
Artistinnen.
Früher allerdings war
man als Artist stolz seine Kostüme bei Vicaire
oder Märzke fertigen zu lassen. Auch Kurt
Märzke, in Berlin wohnend, ging bei den großen Circussen
ein und aus und in Zeiten ohne Handy kamen so auch die
News von A nach B. Und welcher Schneider weiß heute, was
ein Bananenärmel ist? Die Kostüme von Märzke hatten eine
Qualität, dass sie auch heute noch getragen werden können,
vorausgesetzt, der Besitzer hat seine Figur über die
Jahrzehnte behalten. Für Figurproblem gab es bei Märzke
keine Garantie, für die Qualität schon. Er selbst legte
auf sein Äußeres überhaupt keinen Wert. Er trug einen
Webpelzmantel und wenn er zum zigsten Male seinen Gürtel
verlor, diente eine Kordel oder auch notfalls ein Heuband
als Ersatz. Sein Zweithaar war einem Wischmob ähnlich und
sein Koffer enthielt die wertvollsten Kostüme, hätte aber
äußerlich nie einen Dieb ermutigt. Ich habe einmal meinen
Hund bestraft, weil ich dachte er hätte sein Beinchen an
dem Köfferchen gehoben, dabei lief der Inhalt aus dem
Koffer heraus. |
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Wurde man von Märzke zum
Mittagessen eingeladen, dann war es der Mittagstisch in einer
Suppenküche. Aber Märzke wohnte beste Berliner Lage, Nähe
Bahnhof Zoo, man trank aus bestem Porzellan und saß in Samt und
Plüsch neben seinem rosa Pudel und wurde von dienstbaren
Geistern verwöhnt. Nur die Schrittlänge beim männlichen
Geschlecht nahm der Meister selber ab, selbst wenn es sich um
einen Bademantel handelte. Die Stoffauswahl war allerdings
ziemlich begrenzt und so sahen sich die Fracks des Direktors S.
und A. sehr ähnlich. Auch mein Mann besaß mehrere Fracks, die
wie geklont waren. So geschah es einmal, dass man die Kostüme
bei A. gestohlen hatte und ein wachsames Auge sie bei einem
anderen Circus entdeckt hatte und wie es der Zufall nun so will,
die Fracks sollten bei meinem Mann im Schrank hängen. Die Kripo
wollte die Sachen meines Mannes erst mal beschlagnahmen, aber
ein Ansager ohne Frack? Und so konnte ein Anruf beim Circus A.
bestätigen, dass die Sachen wirklich meinem Mann gehören, man
nur eben den selben
Schneider hat. Also mit Märzke gab es immer was zu lachen,
er war so skurril,
dass man immer mit ihm auffiel. Dafür war sein Abgang mit wohl
über 80 Jahren sehr still, man weiß nicht, wann er uns verlassen
hat.
Also lieber Kurt lass es doch
mal ein paar rote Pailletten regnen, damit wir wissen auf
welcher Wolke du dein Hosianna
singst und die Engel in pink einkleidest.
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Di,
5.6.2007: Warum muss es Circus sein?
Es gibt tausende
Unwegsamkeiten, die die Frage aufwerfen, warum tut man sich das
an? Auch wenn die Technik und anderer Fortschritt Einzug in den
Circus gehalten hat, so ist trotzdem alles vom Wetter abhängig.
– Der Stress des Tages kann ins Unermessliche gehen, aber wenn
man nachts noch draußen sitzt und man die Geräusche der Tiere
vernimmt, die sich relaxt ihren Gefühlen hingeben, dann bin ich
mir sicher, dass der Circus der einzige Ort ist, wo ich leben
und arbeiten möchte. – Diese Spezies, die sich total dem Circus
verschrieben hat, ist aber am aussterben. Artistenschulen sind
ja nun auch in im Europa modern geworden, aber man lernt da
nicht, wie man bei Regen und Matsch trotzdem sauber bis in die
Manege kommt, deshalb werden daraus selten Circusartisten.
Foto: ©
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Aber der Circus besteht
ja auch aus den Leuten, die nicht im Schweinwerferlicht
stehen. Ob Sekretärin, Pressesprecher, Vorreisender,
Reklamechef, Fuhrparkmeister usw. es gäbe da viele Namen
zu nennen, die über Jahrzehnte mit der Circusbranche als
eine Einheit zu bezeichnen sind und wirkliche
Persönlichkeiten waren.
Als wir neulich in Alfeld
gastierten, gab es auch Besuch aus alten Busch-Roland
Zeiten, u.a. Helmut (siehe
Foto), damals rollte ohne ihn kein Fahrzeug von
Platz zu Platz und Helmut war viele viele Jahre lang
Sündenbock für jede Fahrzeugpanne. Einer der wenigen
Urgesteine, die „ihrem Circus“ fast ein Leben lang treu
geblieben sind und ihre Gesundheit dem Circusleben
geopfert haben. |
Und dann fallen einem wieder 1000 lustige
oder weniger lustige Geschichten ein. Da gab es einen Abbautag
im Sommer, an dem ich des Nachts noch mal vor die Tür musste.
Aber anstatt mit meinen nackten Füßen vor der Tür auf weichem
Rasen zu stehen, war ich in einer Art von Flüssigkeit gelandet.
Irgendwie war da auch ein übler Geruch. Im Nachhinein konnte ich
dann recherchieren, man hatte den Toilettenwagen vor dem
Transport (natürlich aus versehen) abgelassen, aber an einem
etwas vom Platz erhöhtem Ort. Nur Flüssigkeit bahnt sich seinen
Weg abwärts und so standen also alle Campings in dem, was sich
möglichst unauffällig entsorgen sollte. Nur schwierig und ekelig
ohne Strom und Wasser dann diese Substanz wieder von meinen
Füßen zu entfernen. Jetzt nach Jahren kann man darüber lachen,
damals war mir wenig danach. Oder unser damaliger Orchesterchef,
der sich bei der Nennung seines Namens artig verbeugte und im
Sommer seine gebräunte, aber schweißperlende haarlose Kopfhaut
im Spott leuchtete. Teils fuhren die Mannschaftswagen damals
noch per Traktor und so muss die Fahrt recht turbulent gewesen
sein, denn nach der Fahrt war auf dem haarlosen Kopfteil eine
kleine Wunde, aber umso sichtbarer mit einem weißen Pflaster in
Kreuzform verziert. – Auch die Artisten waren teilweise durch
das Orchester stark „gefährdet“, wenn man im Sattelgang auf
seinen Auftritt wartete. Denn, oben auf dem Podium ist es ja bei
sommerlichen Temperaturen besonders heiß. Wenn man seinen Durst
dann mit Wodka löscht oder die Nachwirkungen noch anhalten, dann
wirft es einen auch mal leicht vom Hocker, nur landet man dann
auf den wartenden Artisten. Aber Niemand kam ernsthaft zu
schaden, eben mit dem Schrecken davon. – Auch heute werden sich
Dinge ereignet haben, über die wir in Jahren lachen können, sie
in der Gegenwart aber als sehr negativ empfinden.
Ein Circusleben lässt sich
auch nicht mit zwei Worten beschreiben und schon gar nicht an
einem Tag erleben und die Wahrheit glaubt sowieso keiner, weil
die Ausreden wahrheitsgetreuer klingen.
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Mo, 14.5.2007:
Circusfreunde und andere News
Circusfreunde trinken ja
nicht nur Krokodilabwasser, ihr Lieblingsgetränk ist Kaffee und
wird der von der Direktion ausgegeben, bekommt der Circus gleich
Pluspunkte. Dass man sie auch als solche erkennt, tragen sie z.B.
einen Monaco-Schal und zücken die GCD-Karte schon beim
Aussteigen aus dem Auto, gleichsam mit dem Fotoapparat, um vom
Abfalleimer bis zum Zirkuszelt alles im Bild festzuhalten und
das möglichst alles für lau und in der Loge sitzend. Man ist ja
Circusfreund.
Foto: ©
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Aber es gibt ja viel,
viel mehr Circusfreunde, die sich auch als Freunde
benehmen. Das sind Leute, die wirklich Spaß am Circus
haben und sehr viel in ihr Hobby investieren. Aber, da die
meist sehr unauffällig sind, kennt man sie gar nicht alle.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle mal den Spieß umdrehen
und einem Circusfreund diese Zeilen widmen, der es schon
aus gesundheitlichen Gründen nicht einfach hat. Er nimmt
aber viele Unwegsamkeiten auf sich, um sich seinem Hobby
widmen und dies mit Freude genießen zu können, ohne
jemals zu stören.
Und darum lieber Oliver
möchten wir Dir stellvertretend für alle unbekannten,
netten, wahren Circusfreunde einen Gruß an dieser Stelle
senden. |
Während Oliver also wie alle
anderen Circusbesucher auf den Einlass warteten, liefen bei der
Direktion die Gedanken heiß. Denn eine Sturmwarnung hatte uns
erreicht und die ersten Böen hatten sich schon bemerkbar gemacht
und bis vor fünf Minuten war alles Zweibeinige (unsere Hühner
ausgenommen) vom Circus noch damit beschäftigt alle Zeltanlagen
zu sichern. Nun war die Frage: Spielen oder nicht? Ist es ein
Risiko die Leute ins Zelt zu lassen? Also waren noch alle
Anlagen fest verschnürt. Was einen Besucher zu der Äußerung
veranlasste: Was soll denn der Scheiß, alles ist zu und bei dem
Wind ist es langsam draußen sehr unangenehm, lassen sie die
Leute doch endlich rein (dabei war es erst 35 Min. vor
Vorstellungsbeginn). Da sich auch der Himmel wieder ziemlich
dunkel zeigte, wollten wir die Leute auch nicht im Regen stehen
lassen. Wir haben gespielt, aber ohne Pause, da wegen des Regens
sich der Platz auch mehr in einen See verwandelt hatte. Wir
wussten nicht, was sollten wir zuerst richten, die Sturm- oder
Wasserschäden? Dem Publikum kann man es selten recht machen.
Teils noch schwerer sind die Circusfreunde zufrieden zu stellen.
Da kann der fehlende Senf zur Bratwurst schon ein ganzes
Programm in Frage stellen. Dabei sind auch Circusleute nur
Menschen, aber echte Kritik punkto Freundlichkeit/Service usw.
wird auch, wie in jedem anderen Betrieb, einen Circusdirektor
interessieren.
Während also die Vorstellung
begann, meinte der Sturm nun richtig loslegen zu können. Ich
stand gerade da wie Eva und sah wie sich die Stützen meiner
Überdachung beim Tierwagen in Einzelteile im Wind verteilten.
Also wieder in die Klamotten und an die Überdachung hängen bevor
sich auch der Rest verabschiedet und schreien, vielleicht hört
mich jemand bei der Musik aus dem Chapiteau. Dann kam der Regen,
der lief über den Kopf, Arme, über den Po bis in die Schuhe. –
Es kam Hilfe, dann schnell ins Kostüm und rein in die Manege und
tun als ob nicht geschehen ist. – Aber dies ist ja wohl auch das
Interessante am Circus, wir sind täglich live und teils 16
Stunden öffentlich präsent, zu 90% perfekt und der Rest, na ja,
wir sind auch nur Menschen.
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Di,
1.5.2007: Bärenhitze, Angst vor dem Clown und Circusfreunde im
Test!
Während wir Menschen noch
darauf warten, dass die Freibäder planmäßig im Mai ihre Pforten
öffnen, ist der Braunbärenbadewagen schon voll im Betrieb. Da
kann man als Kollege schon neidisch werden. Während die
menschlichen Artisten im Kostüm Einlass machen, nehmen die
tierischen noch ein Bad und räkeln sich nach dem Auftritt
entspannt in der Sonne.
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Neid anderer Art kommt z.B.
beim Jongleur auf, der bemüht sich täglich mit seinem Training,
doch die Kinder freuen sich im Vorfeld alle nur auf den Clown.
Aber oh weh, in der Realität sieht es so aus, dass die Vielzahl
der Kinder beim Anblick des Clowns in Tränen ausbricht und Angst
hat und die andere Hälfte sich erst mal die Ohren zu hält.
Während viele Erwachsene, die schon mal als Clownassistent
zwangsverpflichtet wurden, möglichst den Circus meiden, sich nur
in den hintersten Winkeln platzieren oder ein Rückenleiden
vortäuschen.
Gleich beliebt wie die Clowns
sind die Tiger oder Löwen. Meist ist ein Tiger allerdings ein
Löwe oder umgekehrt. Ich hörte aber mal die Erklärung eines
kleinen Mädchens an ihren gleichaltrigen Freund: „Weißt du, die
Tiger sehen aus wie die Biene Maja, weil sie Streifen haben!“ So
einfach ist das. Bereits der Aufbau des Käfigs wird von den
Kleinen bewundert, man freut sich und weicht nicht vom Platz.
Kaum aber haben die Tiere die Manege betreten, kommt Bewegung
ins Publikum. Denn plötzlich setzt ein Ansturm der kleinen
Besucher in Begleitung der Eltern auf die Toiletten an. Ob das
nun aus Angst, Vorfreude oder welchen Gründen auch immer
geschieht, habe ich bisher nicht hinterfragt.
Während der Bahnkunde sich
eine Platzkarte kauft und auf dem Platz eingeengt über Stunden
neben anderen fünf Menschen im engsten Kreis verweilt, obwohl
freie Plätze ringsum zur Verfügung stehen, kauft der
Circusbesucher eine Karte, nimmt mit der Familie Platz, aber
möglichst so, dass zu der anderen Besuchergruppe ein Platz
dazwischen frei bleibt. Um eine bessere Sicht zu behalten,
belegt er die Plätze vor sich mit seinen Utensilien. Kaum
erlischt das Licht zu Beginn der Vorstellung, geht noch einmal
Bewegung durch die Reihen und plötzlich sitzen 50% mehr Leute in
den Logen usw. Nach dem Motto: Man kaufe die billigste Karte und
Circusleute sind ja dumm, die merken es ja nicht, wenn man sich
einfach umsetzt. Aber man ist ja Mensch, drückt auch manchmal
ein Auge zu und der Junior von heute ist ja auch ein Kunde von
morgen und vielleicht wird er mal zum echten Circusfreund.
Diese Spezies ist ja eine
ganz besondere. Vor vielen, vielen Jahren mühte sich eine
Handvoll dieser Spezies bei einer Bärenhitze mit beim Abbau.
Wenn man zusieht, mag es ja alles ganz einfach aussehen, aber
wenn man selbst mit Hand anlegt, kommt man schon ins Schwitzen.
Und da sprudelte aus einem Schlauch ein großer Strahl heraus,
wohl als Erfrischung in der Not hervorragend geeignet. Was diese
Herren bis heute nicht ahnen: Es war das Abwasser aus meinem
Krokobecken! – Aber wenn den Artisten bei der Hitze die Cola und
andere Getränke ausgehen, dann bewehrt sich doch ein
Circusfreund als Helfer in der Not und hat diese Aufgabe zu
großer Zufriedenheit gelöst.
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Zu den
Tagebucheinträgen: September bis
Dezember 2007 ; Januar bis April 2007
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