Tagebuch
Erlebnisse
vor und hinter den Kulissen
Di,
20.11.2007: Alte Gesichter, langjährige Freunde und
grasgefüttertes Rindfleisch
Es ist vollbracht, die
Reisesaison erfolgreich beendet. Von Höhen und Tiefen und
anderem mehr habe ich des Öfteren berichtet. Circus ist so
facettenreich, der eine Hobbyist widmet sich dem Modellbau, der
andere hat sich den Tieren verschrieben. Derjenige aber, der am
Circus tätig ist, kann sich nicht nur die Rosinen aussuchen.
Circus pur kann man nur verstehen, wenn man ihn als Lebens- und
Arbeitsmittelpunkt Tag täglich live erlebt.
Foto: ©
www.batama.de |
Neulich musste ich unter
einem Foto, was u.a. mich vor ca. 25 Jahren zeigte, lesen:
Mensch Heidi, bist du aber alt
geworden. Na klar, denn wer nicht alt werden will,
muss früh sterben! Nur besagter Schreiber ist in dieser Zeit
genauso viel gealtert wie ich. Frau Oschkinat hingegen findet,
dass die turbulente Saison 2007 mich verjüngte.
Neulich standen an der Kasse
zwei Männer vor mir. Man kann mit den Jahren erkennen, ist es
ein normaler Besucher oder ein …. oder ein …. . Der Eine stellte
sich als Mitarbeiter von Krone vor (haha!), der Andere
zurückhaltender von einem Circus XY. Das Gesicht kam mir aber
bekannt vor. Man sieht in unserem Beruf viele Gesichter und man
ärgert sich, wenn man nicht den passenden Namen oder
Einzelheiten dazu so schnell im Kopf hervorzaubern kann. Ich war
mir aber sicher, das Gesicht gehört in die Richtung Barum. Es
war Peter, der ehemalige Elefantenkutscher von Barum. Ich fragte
ihn, warum er das nicht gleich sagt? Worauf er meinte, dass ihn
doch heute kaum mehr jemand kennt. Die Gesichter an den Kassen,
Einlass, Stall etc. wechselten doch wöchentlich. Man kenne doch
keine Personen mehr, man besetze doch nur Posten! Ja, da hat er
Recht.
Es gibt Kollegen, mit denen
ich eine Saison verbrachte und nicht mal mehr ihren Namen weiß.
Wer weiß, ob sie jetzt überhaupt noch in dem Bereich tätig sind.
Vor 21 Jahren habe ich aber mal bei der
Showtime-Schaubude der Familie Schmid aus München
gearbeitet. Unser Gastspiel in Freising führte uns nach 16
Jahren mal wieder in die Nähe von München. Und dann erinnert man
sich und über Freunde und deren Freunde findet man dann auch die
jetzige Telefonnummer heraus. Und dann ruft man an und sagt:
Hallo, kommt doch mal vorbei! Und man trifft sich und redet, ob
man sich erst letzte Woche gesehen hat, die Wiedersehensfreude
war groß.
Nun sind wir wieder in
Offenburg, wenn man auch etwas in die administrative Circuswelt
Einblick hat, dann vergeht einem ja das Lachen. Sägespäne,
früher mehr ein Abfallprodukt, heute ein begehrtes Heizmaterial
und jeder kann den Dieselpreis an den Zapfsäulen sehen und LKWs
fahren nun mal mit Diesel. Man mag die Post schon gar nicht mehr
öffnen, denn sie enthält selten etwas Gutes und neben Rechnungen
meist nur Briefe mit Bitten um Freikarten oder Ermäßigung und
nun mittendrin eine Einladung zur Hochzeit eines ortsansässigen
Zulieferers, die man in den Staaten feiert, im Freien auf einer
Farm. Deshalb bittet man um halbformale Kleidung und weiter
heißt es: "Zur Verköstigung wird es ökologisches Essen und
grasgefüttertes Rindfleisch mit spätabendlichem
Marshmellowrösten geben". Das Ganze geschrieben auf
handgepresstem Papier aus dem Ausscheideprodukt der genannten
Vierbeiner. Wir haben uns nicht über die glücklichen Kühe
amüsiert, sondern um die Hochzeitsmodalität an sich. Artisten
planen ihre Hochzeit bei einem Aufenthalt z.B. in Hannover
zwischen Engagements in Amerika und Europa und die Trauzeugen
haben Stress, damit sie nach kilometerlanger Fahrt pünktlich zur
Nachmittagsvorstellung wieder vor Ort sind.
Also, bald alles Neue vom
Offenburger Weihnachtscircus und Tschüss bis zur nächsten
Reisesaison!
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Mi,
3.10.2007: Eine endlose Diskussion, simsende Rumänen und Circus
unter Wasser
Liebe Tagebuchleser,
einerseits stimmt es mich froh, dass meine Wortmeldung doch
vermisst wird. Auf der anderen Seite habe ich aber auch nach
vollendeter Sommerpause wenig Zeit. Warum das so ist? Circus ist
manchmal mehr und
manchmal weniger! Zum anderen kann ja nun auch Sven, mein
Webmaster, nachvollziehen, dass Arbeit (Geld verdienen) eben
einen Großteil des Tages beansprucht. Ferner macht mich manche
gehörte oder gelesene Äußerung nachdenklich. – Ein Insider
könnte mit einem Satz so manche Diskussion ins rechte Licht
rücken, aber es macht doch wohl den Circusfreunden mehr Spaß zu
spekulieren als sich an die Tatsachen zu halten. Und die
Diskussion „Wer nun ein wirklicher Circusfreund ist“ wird noch
endlos anhalten. Andere Spekulationen werden mit der Zeit
reizlos.
Ich kann dazu nur vermelden,
dass der Circus Paul Busch bei Vertragsabschluss mit den
Artisten eine Sommerpause (Juli/August) vereinbart hatte, die
planmäßig pünktlich am 5.9 mit der Premiere in Magdeburg beendet
wurde. Nichts von wegen Mangel an Plätzen! Und die
Raubtiernummer ist nun auch wieder besetzt, mit Heiko Olf. Ein
Orchester hätte vertragsmäßig auch an der Premiere anwesend sein
sollen, wenn das dann nicht so klappte, muss man eben damit
leben und umdisponieren.
Zum Herbstanfang war eine
warme Nacht, wie wir sie fast den ganzen Sommer nicht hatten,
und ein fast Vollmond verlieh dem Abbau eine romantische
Stimmung. Auch wenn ich unzählige Abbauten erlebt habe, es
fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Natürlich habe ich auch
andere Abbauten erlebt, wenn man im Matsch feststeckte, es in
Strömen regnete oder die Kälte einen auch bei der Arbeit frieren
ließ. Auch habe ich selbst mit Hand angelegt und nicht nur
relaxt zugeschaut, aber deshalb scheine ich auch zu den wenigen
exotischen Exemplaren zu gehören. Welcher Deutsche will heute
noch körperlich arbeiten? Und für Ausländer legen neue Gesetze
den deutschen Circussen Steine in den Weg. Bei den Wenigen, die
dann noch übrig bleiben, da macht man die Arbeit manchmal lieber
selber, um nicht zu verzweifeln. Seit das Handy auch in den
hintersten Teilen von Rumänien zu funktionieren scheint und den
Kontakt zu in Marokko bzw. in Europa lebenden Landsleuten
ermöglicht, sind alle Arbeiter ja nur am simsen oder
telefonieren. Allein zuhause gelassene Ehefrauen können ihre
Männer nun auch bei jedem Wehwehchen erreichen, bekommt das Baby
seinen ersten Zahn oder die Schwiegermutter war böse, schon
reist man nach Hause. Ich glaube fast, seit wir nicht mehr die
Deutsche Mark haben und der Euro Einzug gehalten hat, ist auch
der Reiz irgendwie weg.
Natürlich gibt es auch ein
paar „Irre“, die Gefallen am Circus und an den Tieren haben und
dann ihre freien Wochenenden beim Circus verbringen. Seit
einigen Wochen sind wir von solch einem circusbesessenem
Ehepaar regelrecht adoptiert worden. Ich nenne ihn „Biene Maja“
wegen seinem T-Shirt. Das ist aber wieder eine andere Art von
Menschenschlag, die wollen nicht nur ihre 5€ für Zigaretten
verdienen, sie haben wirklich Spaß an der Circusarbeit und
machen sich Gedanken, ihr Leben vielleicht in Zukunft dauerhaft
im Circus zu verbringen. Davon müsste es ein paar mehr geben.
Foto: ©
www.batama.de |
Was dabei alles auf sie
zukommen kann, hat das Ehepaar in vielen Facetten schon erleben
können. Diesmal waren sie bei ihrem Eintreffen sehr überrascht,
den Circus in einem See zu sehen. Der See war allerdings beim
Aufbau auf dem Platz noch nicht da. Der Regen war schuld daran
und er wollte auch gar nicht aufhören. An eine Vorstellung war
unter diesen Umständen gar nicht zu denken, denn teilweise war
das Wasser knietief. Der Feuerwehr ist es erst nach Stunden
gelungen, den Platz halbwegs vom Wasser zu befreien. Nun gibt es
eine Menge Matsch und man rutscht wie in Schmierseife. Bleibt
die Frage, wie kommen wir nur wieder runter vom Platz?
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Zu den
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