Tagebuch
Erlebnisse vor und hinter den Kulissen - Januar bis April 2007

Do, 12.4.2007: Wie war das vor 30 Jahren?

Ja, auch im Circus hat der Computer und das Internet Einzug gehalten. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, wo abends nach der Vorstellung ein Wettlauf zur nächsten Telefonzelle stattfand. Da stand man dann mit einer Hand voll Münzen ausgestattet in der Warteschlange, aber man fand dabei Zeit und Gelegenheit sich mit den Kollegen zu unterhalten. So konnte man anrufen, aber nicht angerufen werden. Die Erfindung des Mobilfunks war da schon eine sinnvolle Sache. Nur, man darf es jetzt kaum noch sagen, man zahlte dafür noch eine fast 5-stellige Summe. Dafür hatte man ja auch wirklich etwas für sein Geld, es wog schon seine Kilos. Bequem war es  nicht gerade, wenn man es mit sich herumtragen wollte. Es schaffte aber auf eine andere Weise eine neue Art der Zusammenführung unter den Kollegen. Es blieb ja auch schwerlich den Kollegen verborgen, wenn man solch ein Gerät besaß, also folglich wusste jeder auch die Telefonnummer, die er dann an seine Lieben in der Ferne weitersagte. So konnte sich ein solcher Mobilfunkbesitzer immer über reichlich abendlichen Besuch von Kollegen freuen, die eigentlich nur kamen, weil sie vielleicht einen Anruf von Daheim erwartet haben. Heutzutage ist es dank guter Tarife möglich, sogar mit dem Kollegen von Wagen zu Wagen zu telefonieren, wenn man zu faul ist, die paar Meter zu laufen.


Foto: © www.batama.de

Früher, da gab es einen Vorausfahrer, der die Strecke für den folgenden Circustross ausfindig machte. Und jetzt, da lassen wir uns vom Navigator „verulken“. Die Straßenschilder vervollständigen die Verwirrung. Aber bisher hat jeder Fahrer den Circusplatz auch ohne Hilfsmittel gefunden, auch wenn es manchmal des Nachts, wenn man keine Passanten befragen kann, recht mühsam ist.

Dank Computer und Adress-CD findet man aber zum Leidwesen meines Sohnes immer die nächstgelegene Schule. So war es jedenfalls bisher.

Durch die Umstrukturierung der Schulen in den neuen Bundesländern steht man jedoch vor großen Rätseln. Wegen der Osterferien konnte ich also meinen Sohn nicht im Vorfeld anmelden und unter der Telefonnummer der Schule meldete sich niemand. Auf der Stadtverwaltung hatte man dann eine andere Rufnummer für mich. Der freundliche Herr am Telefon nannte mir die Schule und den Unterrichtsbeginn. Sonst ist es meine Aufgabe Bobo in die Schule zu bringen und mein Mann hält es immer für leicht übertrieben, was ich ihm so an Erlebnissen schildere. Nun hatte er heute selbst das Vergnügen. Der Navigator streikte völlig bei den Umleitungen und anderen Verwirrungen. Endlich kam er bei der Schule an, die allerdings verschlossen war. Zutritt ist dort nur zwischen den Stunden. Wie kommt man dann ins Sekretariat? So ließ sich wenigstens ein Hausmeister auftreiben, der aber versichern konnte, dass es gar kein Sekretariat gibt. Wie verwunderlich. Also machte sich mein Mann auf den Weg zur 2.Schule. Er staunte nicht schlecht, die Schule war nur eine einzige Baustelle, außer Handwerkern gab es da nichts. Damit war das Angebot an Schulen erschöpft, freudig durfte mein Sohn sich seiner Lieblingsbeschäftigung dem Aufbau des Chapiteaus widmen. Dafür rief ich den freundlichen Herrn vom Vortag noch mal an, der mir dann erklärte, dass dies schon alles so richtig sei. Die Schulen sind abgeschlossen und die Klassen der „Baustellenschule“ sind über freistehende Räumlichkeiten in Kindergärten etc. verteilt. – Zum Thema Schule gibt es noch eine ganze Menge zu sagen, demnächst mal wieder.

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Fr, 23.3.2007: Großer Schreck und große Party

Gegen 22h flog ein Hubschrauber über unser Winterquartier, 15 Minuten später wieder, langsam wurde es nervig. Am Geräusch und der Größe des Fliegers war zu erkennen, das ist kein normaler Flug. So langsam wie er flog, suchte er etwas. Ich musste lachen, wenn er plötzlich einen Elefanten in seinem Nachtsichtgerät hat, hoffentlich stürzt er dann vor Schreck nicht ab. Der Hubschrauber kam mehrmals und so langsam gewöhnte man sich daran. So ein ehemaliges VEB Gelände ist ja riesig, viele Freiflächen, aber auch Hallen, die man unterschiedlich nutzen kann. Uns gegenüber standen die Pferde im Stall und dort leuchtete plötzlich eine Taschenlampe auf. Auch wenn es nicht meine Tiere sind, man schaut doch, ob vielleicht Hilfe notwendig ist. Kaum hatte ich den Wohnwagen verlassen, leuchteten mich ca. 20 Taschenlampen an. Welch ein Schreck! Kein Ton war zu hören gewesen und plötzlich stand ich ca. 100 Polizisten gegenüber. – Wir waren nicht weit von Leipzig und man suchte nach dem Kindesmörder und da lag eben auch das Winterquartier im Suchgebiet und bot unzählige Möglichkeiten. – Wenn man das im Fernsehen verfolgt, ist man betroffen, aber es betrifft ja selten einen selbst. Unser Sohn hat solche Aktion nun zum zweiten Mal innerhalb von 3 Monaten mitgemacht, weil, in Offenburg suchte man jemanden, der per Internet ein Attentat auf eine Schule angekündigt hatte.

Bei schönstem Sommerwetter sind wir dann aber doch in die Saison gestartet. Ein schöner Platz mit Rasen und einem Baum. Aber wie ärgerlich, wenn genau dieser Baum einem den Satellitenempfang verhindert. Meine vier Hühner haben erst mal die Gegend inspiziert. Da bei der Ankunft noch kein Misthaufen vorhanden ist und keine Popcornreste von den Besuchern verloren wurden, muss man sich auch als Huhn die Zeit anders vertreiben. Also haben sie Nachbars Garten aufgesucht, denn es gab keinen Zaun. Schon bald stand „Frau Nachbarin“ vor meiner Tür, ganz erbost über Hühner in ihrem Garten, denn sie hat doch Katzen! Ich konnte sie aber beruhigen, denn meine Hühner fallen über keine Katzen her. Nach und nach trafen dann Material, Menschen und Tiere ein und gruppierten sich zum Circus Paul Busch. Kein Außenstehender hätte  einige Stunden vorher vermutet, dass um 16h die Premiere stattfindet. Aber Circusleute sind Perfektionisten im Improvisieren. Alles was nicht perfekt ist, wird überspielt, dem Zuschauer bleibt das Chaos verborgen. Auch wenn so mancher Musik- oder Lichteinsatz nicht nach Wünschen der Artisten war, das Publikum ist zufrieden nach Hause gegangen. Nur Kritiker werden immer ein Haar in der Suppe finden. Und so hatten wir nach allen Anstrengungen eine schöne Premierenfeier, die gleichzeitig auch eine Geburtstagfeier im Kreise vieler befreundeter Kollegen war, denn der Namensgeber des Circus feierte mit uns seinen runden Geburtstag.


Foto: © www.batama.de

So live und abwechslungsreich der Circus ist, so ist auch das Wetter. Erst hatten wir Sonnenschein und Hitze und nun sind wieder Gummistiefel angesagt und bei heftigem Sturm hat sich so mancher Zaun und ein Teil des Stallzeltes verselbstständigt.  Und genau so wird sich die Saison gestalten zwischen Höhen und Tiefen. Spannend wird jetzt der erste Platzwechsel, ob alles so klappt wie in der Theorie durchgespielt? Aber zur Premiere in der nächsten Stadt gehen wieder pünktlich die Lichter an und egal was sich ereignet hat: „The show must go on“!

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Mo, 5.3.2007: Zwischen Weihnachtscircus und Saisonbeginn, sowie Lothar und Kyrill?

Zum einen gibt es da das Treffen vom Berufsverband der Tierlehrer. Neben der offiziellen Seite auch die Gelegenheit Kollegen zu treffen, die man sonst nicht sieht. Bzw. gerade einige Tage zuvor beim ECA Treffen gesehen hat, ob nun in München oder Monte Carlo. Eine Woche später ist man vielleicht schon wieder zum Elternabend der „Schule für Circuskinder“ unterwegs und auch ein bisschen Geselligkeit darf nicht fehlen z.B. beim Fußballturnier.

Unser Zelt war Gott sei Dank schon abgebaut, als sich Kyrill ansagte, aber da wurden dann Erinnerungen an Lothar wieder wach:

In Offenburg sollte am Vormittag gerade der Gottesdienst mit Pater Schönig stattfinden. Er glaubte noch an seinen direkten Draht nach oben, aber der gelangte wohl nicht so schnell bis zum Wettergott. Es war einfach zu gefährlich die Wartenden ins Zelt zu lassen. Aber was sich von Circusseiten als nicht unberechtigte Sicherheitsmaßnahme herausstellte, wurde vom Publikum kaum mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Während wir Circusleute uns wohl etwas besser auf die Sprache der Natur verstehen und unser Hab und Gut in Sicherheit brachten, spazierten bei dem unwirklichen Wetter Menschen durch Offenburg, wie man es noch nie sah. Selbst als sich bereits einige Zeltteile in die gegenüberliegende Messehalle „verflogen“ hatten, kamen alle Besucher pünktlich zur Vorstellung. Man zeigte dann doch Verständnis und tauschte seine Karten um, nur eine wirkliche Bauersfrau hatte "Null Bock", wieder nach Hause zu fahren. Sie hatte ihre Karte in einem Preisausschreiben gewonnen und sich extra einen Traktor geliehen, um nach Offenburg hereinzufahren und einen Mann gefunden, der inzwischen die Kühe melkt. Sie bestand auf die Vorstellung und fühlte sich nur in ihrer Bauernehre gekränkt. Sie verließ die Kasse mit den Worten: „Dass wohl Circus nur was für die Stadtmenschen sei“.


Foto: © www.batama.de

Es kam Gott sei Dank Niemand zu Schaden und wir selbst hatten einen riesigen Schutzengel. Denn wir wohnen unter der Bundesstraßenbrücke, die über den Platz führt und Sekunden nachdem wir die Standfestigkeit der Tierveranda geprüft hatten, krachte genau an der Stelle, wo wir vorher standen ein Betonteil aus einem Brückenpfeiler herab.

Wie der Zufall so spielt, verletzt sich ein Artist leicht am Kopf, als wir das zerstörte Zelt alle gemeinsam abbauten und gegen ein neues austauschten. Dieser Artist war nicht mein Freund, denn er hatte gegen mein Auto gepinkelt. Er als Mann fand das ganz normal, ich als Frau eher unappetitlich und nun musste ich ihn „halbtot“ ins Krankenhaus fahren und beim Pflaster aufkleben „Händchenhalten“ (männliche Tapferkeit) und dann kam die Reue/Entschuldigung in Form einer Flasche Wein. Nun sind wir Freunde und wenn er ein weiteres Mal seine Markierungen setzen will, mit einer Flasche Whiskey darf er dies gern tun. Es muss aber nicht unbedingt sein.

Aber wir Alle haben aus Lothar gelernt – 2 Tage hat es gedauert, dann spielte der Weihnachtscircus wieder, aber Lothar bleibt unvergessen.

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So, 7.1.2007: Die andere Seite des Offenburger Weihnachtscircus

Während sich das Publikum am Heiligen Abend  auf den Heimweg macht, geht hinter den Kulissen der Stress vom Neuen los. Der Würstchenverkäufer ist im wirklichen Leben ein guter Koch und zaubert für alle Mitarbeiter ein gemeinsames Abendmenü, schnell wird die Restauration zum Gesellschaftsraum und die Kids fragen im Viertelstundentakt nach der Uhrzeit. Denn es kommt der Weihnachtsmann und das darf man nicht verpassen. Nur die größeren sind da ganz cool, denn es gibt ja gar keinen Weihnachtsmann. Zur Vorsicht haben sie dann aber doch ein Gedicht oder Liedchen auf den Lippen, denn auf Geschenke will man ja keinesfalls verzichten. Dann geht das Detektivspielen los. Frage: Wer war der Weihnachtsmann? Er hat so schlechte Zähne, wie unser …. und er hat mit uns zu Abend gegessen, weil er roch, wie alle, nach der leckeren Knoblauchsoße. Worauf so ein Weihnachtsmann also achten muss, um nicht enttarnt zu werden.

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Dann gibt es noch Silvester: Da bleibt das Publikum nach der Vorstellung gern etwas länger. Mit großem Glück sind alle Circusleute 10 Minuten vor Mitternacht wieder versammelt, um sich gemeinsam eine gute neue Saison zu wünschen. Meist ist Silvester besonders stressig, da entweder am Vormittag ein Gottesdienst war oder am Neujahrstag ein Konzert ist. Trotz langer Feier, wird aber kein Besucher um 10 Uhr morgens bemerken, dass die Party erst kurz vorher ausgeklungen ist. Während zu Weihnachten und Silvester die Artisten, Musiker und Büroleute feiern, unterbrechen die guten Tierlehrer dagegen die Gemeinsamkeit, um für einige Minuten mit ihren Tieren zusammen "in sich zu gehen".

Während also die Circusleute, ob nun Feiertag oder nicht, genauso entspannt wie immer sind, ist das Publikum die totale Hektik. Kinder, denen schlecht ist, weil sie sich zuhause schon mit Süßigkeiten voll gestopft haben, ältere Menschen mit Kreislaufschwäche und dann die Vergesslichkeit. In der Vorweihnachtszeit wurden die Eintrittskarten für den Circus schon abgeholt, aber wo sind sie? Anscheinend werden sie versteckt, wie die Ostereier! Das tollste Versteck war die Tiefkühltruhe, wo sie wieder auftauchten, als man das Silvesteressen zubereiten wollte. Es ist ja nett, wenn die Kunden uns so was auch erzählen. Und was die Kunden alles verlieren? Z.B.: Eine halbe Tüte Popcorn, die der Dame unters Gradin gefallen war und die sie nun am anderen Tag vermisste und sich deshalb auf den Weg zum Circus begab, um den Verlust anzuzeigen. Unter dem Gradin gab es dann eine Menge von Popcorntüten und die Dame suchte sich eine aus und trat dann befriedigt wieder den Heimweg an. –  Leider hat kein Kunde an der Kasse die Zeit mal „Frohe Weihnachten“ zu wünschen. Da berührt es einen, wenn es über die Lippen eines kleinen Mädchens kommt, wo man doch unser heutigen Jugend wenig Gutes nachsagt. –

Und da Circusleute immer grillen müssen, gibt es eben auch eine Grillparty im Januar im Freien, man muss sich eben warm anziehen oder warme Gedanken machen. Aber man hat sich soviel zu erzählen, da wird einem nicht kalt und es wird Abschied genommen, aber man sieht sich ja immer irgendwo wieder in dem einen oder anderen Circus.

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Mai bis August 2007